18.07.2013

Was ist schon die WM?

 

Als ich diese Saison plante, war die WM für mich kein Thema. Ich wollte im Studium flott voran kommen, um mich bald noch intensiver auf den Sport konzentrieren zu können (es bleibt immer noch ein Jahr, aber das ist absehbar:). Natürlich nebenbei weiter OL auf höchstem Niveau machen, also im Weltcup regelmässig in die Top20 laufen. So setzte ich mir die Nordic Tour als Höhepunkt der Saison 2013. Dann kam aber der Input des Nationaltrainers, mich auf den Sprint zu konzentrieren, da sich je nach Konstellation eine Chance für einen WM-Platz ergab, trotz reduzierten Ressourcen meinerseits. Ich nahm den Input auf, fokussierte auf diese Distanz bis zur Nordic Tour. An der Nordic Tour lief es mir ganz schlecht und so stand ich mit etwas gekürzten Hosen da – Nordic Tour im Eimer und logischerweise auch nicht an der WM.

Ein Ersatzprogramm musste her. Die Prüfungen sind geschrieben und bestanden, also bleibt mir viel freie Zeit, bis das nächste Semester losgeht. Und was macht man da? Natürlich, möglichst viel Training und Wettkämpfe.

Vor gut einem Jahr lernte ich Salah, einen sehr sympathischen Marokkaner kennen. Er bestritt einen seiner vielen Wettkämpfe in Europa, bevor sein Visum wieder auslief und er zurück nach Afrika flog. Wir blieben in Kontakt, trafen uns in der folgenden Zeit in Genf und in Zürich und er heuerte mich an, doch einmal in seine Heimat, am besten ins Atlasgebirge, trainieren zu kommen. Diese Idee ging mir nicht mehr aus dem Kopf und so buchte ich spontan zwei Wochen. Eigentlich wäre mein Kaderkollege Andreas R. noch mitgekommen, ein Unfall in Kraftraum nahm in aber aus dem Rennen.

döfs es bizeli me si?Marrakesch

Ich bin gar kein Fan von „Heute habe ich ein neues Shampoo gekauft, es passt perfekt zum Duschvorhang und riecht nach Kokosnuss. Das Maskottchen auf der Tube soll mir Glück bringen. Auf geht’s zu neuen Abenteuern!“-Tagebucheinträgen auf Homepages. Da ich aber in diesen zwei Wochen so viel Aussergewöhnliches erlebt habe, mache ich es nun auch. Sorry. (Für Lesemüde – es gibt: Tag 1, 2, 3, 4, 5-10 und die letzten zwei.)

 

Tag 1 (Tajine um Mitternacht)

Ankunft in Marrakesch. Fouad, ein Freund von Salah erwartet mich bereits am Flughafen. Mit dabei sein Bruder, er wird das zweite Auto (genau, ich soll ja aussuchen) wieder zurück nach Agadir fahren (beide Mietautos sind von dort, aber da ich in Marrakesch lande, transportieren sie die Fahrzeuge natürlich dorthin). Mit Fouad fahre ich hoch ins Gebirge, er kümmert sich um alles, da Salah noch in Europa weilt. („C’est un très bon ami à moi, il est comme moi, ne t’inquiète pas.“) Um 23.30 Uhr Ortszeit treffen wir in Imlil ein, ein kleines Dorf mit reichlich Touristen bei Tag, wo wir die nächsten zwei Wochen verbringen. Ein Mann in einer Art Kaftan erwartet uns, auf einer Terrasse essen wir meine erste Tajine (wie sich später herausstellen sollte, hätte das Restaurant längst geschlossen, aber Fouad hat vorher angerufen und den Besitzer gebeten, uns ein Mahl vorzubereiten). „On va se laver les mains maintenant. Parce qu’on va manger avec les mains.“ Stimmt, voll vergessen.

Tag 2 (You are Hakan Yakin!)

Beim zweiten Footing am Nachmittag bin ich alleine. Fouad trainiert erst seit einer Woche wieder, nachdem er sich vor einer Weile am Oberschenkel verletzt hat. Ich suche einen kleinen Weg auf, mit dem Ziel etwas das Gelände zu erkunden. Kaum verlasse ich die grosse Strasse, folgt mir jemand. Ich schaue nicht gross zurück, keine Ahnung was der von mir will. Nach etwa zehn Minuten pfeift mir der Fremde aus der Ferne zu. „Where you go? No way!“ Vergebens versuche ich ihm aus der Distanz zu erklären, dass ich bald umkehren werde. Also laufe ich zurück und treffe auf einen Jugendlichen, in Hemd und Jeans, völlig verschwitzt und ausser Atem. „Mohamed. Your name?“ Er gibt mir zu verstehen, dass er sich Sorgen macht, weil dieser Weg nirgendwo hinführt. Um ihn zu beruhigen, kehre ich mit ihm zurück, möchte aber auf dem grossen Weg noch etwas weiter hoch. Mohamed macht sich immer noch Sorgen und folgt mir. Etwas später passieren wir eine Gruppe Kinder, die mit so etwas wie einem Fussball spielen. Zwei Kurven weiter unten fliegt mir plötzlich der Fussball entgegen. Ich nehme ihn auf, satter Schuss und schon ist er wieder bei den Kids oben. Diese, die Frauen am Strassenrand und Mohamed scheinen völlig beeindruckt. Applaus von allen Seiten. „You footballer? Yes, you footballer. You’re Hakan Yakin, i love Hakan Yakin!!“ Wie bitte?! Zum erstem Mal im Leben empfinde ich so etwas wie Respekt gegenüber dem Mehrfachvater. „Basel, Zürich, my favorit is Thun“, fährt Mohamed begeistert fort.

Tag 3 (Wo ist Hassan?)

Heute fahren wir der Strasse weiter hoch ins Gebirge (Imlil liegt auf 1'700 M. ü. M.) nach Tacheddirt. Dort endet die Strasse. Wir suchen nach Hassan. Er ist nicht in seinem Haus, aber sein Sohn (geschätzte knappe 5 Jahre) führt uns zu seinem Vater. Der Kleine kennt den Weg durch die Erdhäuser, vorbei an Ziegen, Kühen, Kindern, Frauen in Tüchern, Hühnern und so vielem mehr wie seine Hosentasche. Hassan arbeitet im grossen, neuen Haus oberhalb des Dorfes. Er verziert gerade ein Cheminée, eines im Untergeschoss hat er schon fertig. Die Treppe hat er auch verlegt. Herzlich begrüsst er uns, lädt uns zu sich nachhause ein, wo er im oberen Stock ein Appartement für Touristen gebaut hat. Wunderschön, alles von Hand gemacht, ruhig mit einem unglaublichen Ausblick. Genau, da werde ich bei meinem nächsten Besuch in Marokko verweilen. Natürlich gibt es viel Tee und eine Tajine.

Tacheddirtsuva-konform?

Tag 4 (la fatigue)

Nach einem ersten langen Training fühle ich mich sehr müde. War es ein Fehler, oben ohne rennen zu gehen? Ja. Nichts desto trotz will ich es nicht verpassen, Salah am Flughafen in Marrakesch abzuholen. Knapp 90 Minuten Autoreise. Es bleibt noch viel Zeit bevor er ankommt. Also Footing in einem Park, Dusche mit Wasserflaschen. Mit dabei (wohl schon seit Jahren nicht mehr so weit gereist): Hassan. Während meinem Footing trifft Fouad einen alten Vorgesetzten aus dem Militär. Der Monsieur ist Leichtathletik-Fan und –Trainer. Entsprechend begeistert ist er von meiner Gegenwart. Er lädt uns zu einem leichten Mahl, Orangensaft und viel Tee ein „Contre la fatigue.“ Gleich neben dem Café liegt der Kraftraum der hiesigen Leichtathleten. Alle kommen sie uns die Hände schütteln. „Lui, il a fait 3:33 sur les 1’500m“. Ok. Etwas später liege ich in einer Wiese neben einer vierspurigen Hauptstrasse, auf einer Picknick-Decke. Zugedeckt mit einem Seidentuch, dass der Sohn des Monsieurs vorbei bringen musste. In den Ohren zwei Stöpsel mit „My heart will go on“ (Titanic), das auf dem Natel des grossen, breitschultrigen Mannes mit strenger Miene, die ihm in seiner Karriere beim Militär wahrscheinlich oft geholfen hatte, abgespielt wird. „Mental, contre la fatigue.“

Fouad et Salahauf dem Markt

Tag 5 – 10 (Toubkal)

Die nächsten Tage sind schnell erzählt. Der vierte Tag war definitiv zu viel, in der Folge bringe ich die Halsschmerzen, teilweise Kopfweh und etwas Fieber, verklebte Augen und regelmässiges Nasenbluten nicht mehr weg. Egal. Wir müssen ja noch auf den Toubkal, den höchsten Berg in Nordafrika (4'167 M. ü. M.). Und das möglichst bald, der Ramadan fängt gleich an. Die 31km mit 2’600m Steigung auf kleinen Wegen bringen mich an meine Grenzen. Bis ins Refuge auf 3'200 M. ü. M. geht es gut, wir rennen zügig. Bei der kurzen Pause merke ich aber bereits, dass ich nicht in Form bin. Der Husten hört kaum mehr auf. Also weiter. Die letzten Kilometer bis auf den Gipfel sind ein Kampf. Selbst beim Marschieren brauche ich regelmässig Pausen. Oben angekommen kann ich mich nur hinlegen, beginnen zu frieren und etwas meditieren. Danach alles wieder runter, wobei es nach einem Cola in einer der kleinen Hütten entlang dem Weg schon wieder viel besser geht. Das Tempo nimmt wieder zu, doch diesmal bin ich verantwortlich dafür. Der Patron des Unterstandes, wo wir vorhin etwas getrunken haben, ist uns aufgelaufen. Also starte ich den Wettkampf. Marokko gegen die Schweiz, nach 5 Stunden Weg auf steinigem, schliefrigen Untergrund. Einfach geil.

ohne Worteauf dem Toubkal

Die letzten zwei

Bei den letzten Trainings (so viel wie möglich natürlich) ist oft auch Rachid dabei. Ein weiterer Freund von Salah, der bei der Rückkehr eines Trainings plötzlich in unserem Appartement installiert war. Er kam direkt von Ifran, dort wo für gewöhnlich die Leichtathleten ihre Höhentrainingslager in Marokko absolvieren. Bei den Intervall-Trainings wechseln sich die drei ab, um mir Tempo zu machen. Doch sie leiden, seit zwei Tagen ist Ramadan. Das heisst, sie essen und trinken nichts mehr, sobald die Sonne aufeht – die Trainings machen wir am Abend, damit sie nachher sogleich ihre Batterien wieder etwas laden können. Beim zweitletzten Footing treffe ich noch auf einen Holländer mit professioneller Kamera „So, do you want the photo?“, fragt er mich, nachdem er Nahaufnahmen gemacht hat. Gerne natürlich, ich nehme jedes Souvenir dieses unglaublichen Aufenthalts mit. Und ich werde zurückkehren. Bestimmt.

Salah, Fouad, Eskimo

What’s next?

18. – 23.07.2013 Bubocup (5-Tage-OL-Wettkampf in Slowenien)

27.07.2013 Bahn-SM 800m (Ja, 800m :)

28.07. – 05.08.3013 Euromeeting (Sprint, Mittel, Lang in Schottland)

ob wir Spass hatten?

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